Kapitel 4: Es wird immer dunkler… das Vernichten sozialer Strukturen – Freunde und Familie

Kapitel 4: Es wird immer dunkler… das Vernichten sozialer Strukturen – Freunde und Familie

Es ist wichtig, zu betonen, dass ich die hier teilweise reflektierte Sichtweise in all meinen Beiträgen zum Zeitpunkt der „Dunkelheit“, also während meiner Beziehung und Ehe mit Robert nicht hatte, sondern diese erst nach meiner Trennung bzw. Scheidung allmählich Einzug gehalten hat. Ich habe das allermeiste nie hinterfragt und selbst wenn ich mal irritiert, verwundert oder überrascht war, so hat es Robert immer wieder geschafft, meine Gedanken und Gefühlszustände, in seinem Sinne, „zurechtzurücken“. Er hat meine Welt verschoben und mehr und mehr der seinen angepasst. Er tat sich leicht, denn ich leistete nur zu Beginn, und auch dann nur minimalsten, Widerstand.

Ich habe mich immer mehr in ein, von ihm gebautes Schneckenhaus zurückgezogen bzw. hineindrängen lassen, im irrigen Glauben, dort sicher zu sein. Und so passte ich mich langsam an die Enge dieses kleinen Hauses an und rührte mich so gut wie nicht mehr. Dies beschreibt sehr gut den Alltag, den ich mit Robert erlebte.

Nach der Auseinandersetzung wegen meines Bänderrisses habe ich das Wing Tsun-Training aufgegeben. Robert bat mich nach einer länger dauernden Diskussion unter Tränen um eine Entscheidung: „Ich oder Wing Tsun“, denn er würde am liebsten jede freie Minute mit mir verbringen wollen. Und da ich doch sehr gerührt von seiner „Ansicht“ war und auch keine weiteren Szenen, wie jene aufgrund meines Bänderrisses erleben wollte, beendete ich das Training – für mich vorerst – und dachte, dass ich es sicher zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufnehmen könnte. Ein dummer Gedanke, wie sich später herausstellte.

Anfänglich hatte ich noch telefonischen Kontakt zu meinen Trainingspartnern, die es sehr bedauerten, dass ich das Training nicht weiterführen wollte. Ich redete mich zunächst immer auf meine Verletzung aus und später, dass ich in der Arbeit plötzlich viel mehr zu tun und ich deshalb auch keine Zeit mehr für das Training hätte. Obwohl ich ständig Ausreden bemühte, weil es mir peinlich war zuzugeben, dass ich meinem Lebensgefährten zuliebe das Training beendet hatte, habe ich diese Entscheidung erst hinterfragt, als ich geschieden war.

Mit der Zeit wurden auch diese Telefonate immer weniger, genauso wie Treffen und Telefonate mit meinen anderen Freunden.

Zu Beginn unserer Beziehung war es Robert noch wichtig, meine Freunde kennenzulernen und er wollte auch bei allen weiteren Treffen immer dabei sein. Zunächst machte mir das auch nichts aus, aber dennoch wollte ich auch mal wieder gerne alleine etwas mit meinen Freunden unternehmen. Ich traute mich allerdings nicht, Robert das zu sagen und nach einer gewissen Zeit, wollte er auch gar nicht mehr mit zu diesen Treffen gehen, sondern begann mir jedes Mal ein schlechtes Gewissen zu machen, wenn ich vorhatte, mich mit meinen Freunden treffen zu wollen. Denn immer an solchen Tagen wollte er entweder unbedingt einen besonderen Abend mit mir verbringen, oder er meinte, es ginge ihm nicht gut, er hätte Probleme in der Arbeit und würde so gerne mit mir darüber reden wollen. Dann war es immer selbstverständlich für mich, zuhause zu bleiben. Und jedes Mal dachte ich mir, dass ich meine Freunde einfach zu einem späteren Zeitpunkt wieder treffen würde. Ich war davon überzeugt, dass sich meine Freundschaften nicht auflösen würden und sich bald alles wieder in seiner gewohnten Balance befinden würde – so wie früher. Und so hantelte ich mich von Monat zu Monat und letztendlich von Jahr zu Jahr weiter und das Ungleichgewicht wurde immer größer. Im Laufe der Beziehung wurde ich immer müder und erschöpfter und hatte auf einmal selbst keine Lust mehr, mich mit irgendjemandem zu treffen. Es war wie schleichendes Gift, dass sich so langsam in meinem ganzen Leben ausbreitete.

In all den Jahren unserer Beziehung bzw. Ehe habe ich alle Freunde verloren. Nach so langer Zeit hatten sich alle weiterentwickelt, selbst Familien gegründet, andere Freunde gefunden und einfach weitergelebt. Ich werfe es keinem einzigen vor und lasse Sätze wie, „Freunde sind für immer da“, oder „dann waren das aber keine richtigen Freunde“ nicht gelten, weil man einfach nicht erwarten kann oder darf, in das (neue) Leben eines anderen nochmal hineinzupassen.

Doch nicht nur der Kontakt zu meinen Freunden hatte extrem unter meiner Beziehung und Ehe gelitten, auch jener zu meinen Eltern.

Als ich Robert meiner Familie vorstellte, waren sie alle sofort begeistert von ihm. Im Nachhinein betrachtet, ist es nicht verwunderlich, dass er sie so schnell um den Finger gewickelt hatte. Er redete sehr charmant, vor allem mit meiner Mutter, machte meinem Vater auffallend viele Komplimente und war vom ersten Moment an präsent. Er war ein Unterhalter. Er beeindruckte. Sein absolut seriöses Auftreten vermittelte meinen Eltern den Eindruck, dass sie sich um mich keine Sorgen machen mussten. Robert war vom ersten Augenblick an Teil meiner Familie.

Nach diesem berauschenden Anfang betrat ich ohne Guido nie wieder mein Elternhaus alleine. Es war für ihn selbstverständlich, immer dabei zu sein – so wie anfänglich bei den Treffen mit meinen Freunden – denn er wollte ja seine Schwiegereltern (in spe) sehen, denn sie wären ihm „von Beginn an ans Herz gewachsen“. Ich genoss diese Harmonie und betrachtete diese damals als nicht selbstverständlich.

Doch der anfängliche Hype um meine Familie verflachte schon gleich nach unserer Hochzeit, also gut ein Jahr nachdem Robert meine Eltern kennengelernt hatte und nach der Geburt unseres Sohnes riss der Kontakt für einen längeren Zeitraum zur Gänze ab.

Robert begann immer mehr seine Mutter in den Vordergrund zu heben – noch mehr, als er es ohnehin bereits zu Beginn unserer Beziehung getan hatte. Seine Mutter lebte alleine in einer kleinen Wohnung und hatte weder Verwandte noch Freunde. Meine Eltern wären ja schließlich zu zweit, unternahmen viel gemeinsam und hätten auch meinen Bruder in ihrer unmittelbaren Nähe. Ich selbst war vor Jahren nach Wien gezogen, hunderte Kilometer weg von meinen Eltern, ebenso wie Robert, den es nach dem Studium nach Wien gezogen hatte, um dort beruflich sesshaft zu werden. Seine Mutter hätte er allerdings immer sehr oft besucht und sich besonders fürsorglich um sie gekümmert. Zumindest hatte er mir das – und auch anderen – sehr oft so erzählt und man merkte, dass er sehr stolz auf sich und seine Beziehung zu seiner Mutter war.

Wir verbrachten viele Wochenenden bei seiner Mutter, mit der ich, bis auf wenige Ausnahmen, zunächst sehr gut auskam. Robert genoss diese „Verbindung“ zwischen seiner Mutter und mir. Auch wenn ich sehr gerne mal wieder meine Eltern besucht hätte, so fügte ich mich stets stillschweigend Roberts Forderungen, zu seiner Mutter zu fahren. Mit der Zeit wäre es mir ohnehin lieber gewesen, meine Eltern alleine zu besuchen, aber dies hätte einen Konflikt verursacht, den ich einfach nicht (mehr) haben wollte. Also blieb ich still.

Seine Mutter wurde immer mehr Bestandteil unseres Lebens und somit war es auch kein Wunder mehr, dass seine Mutter auch diverse Urlaube mit uns verbrachte und sogar mit auf unsere Hochzeitsreise fuhr. Seit Jahren säße seine Mutter in der kleinen Wohnung, käme sonst nie wirklich außer Haus und würde so gerne mal wieder ans Meer fahren… Obwohl es in mir ein merkwürdiges Gefühl verursachte, sagte ich Robert, dass es für mich ok wäre, wenn seine Mutter mitkommen würde. Ich wagte es nicht, „Nein“ zu sagen, denn ich hatte Angst vor seinen bösen Blicken und seinem anfänglichen Schweigen, das zu späterer Stunde stets in Belehrungen und Vorwürfen überging.

Der Kontakt zu meinen Eltern wurde immer weniger, bis ich ihn letzten Endes, nach der Geburt unseres Sohnes, auf Roberts Druck hinauf im Streit gänzlich abbrach. Robert hatte sich die Strategie zurechtgelegt, wie es auch bei meinen Freunden der Fall war, dass alle einen negativen Einfluss auf mich hätten, mich nur ausnutzen und sich in unser Leben einmischen würden. Ich müsse doch an ihn und unsere Familie denken. Alle anderen wären nur Parasiten und Besserwisser – und damals glaubte ich ihm das auch!

Egal ob es um meine Freunde, meine Eltern oder meine Freizeitaktivitäten ging, jedes einzelne von Roberts Argumenten, das gegen diese Personen oder gegen diese Aktivitäten gerichtet war, klang für mich so logisch und nachvollziehbar, so dass ich davon überzeugt war, dass Robert zu 100% recht hatte.

Weitere Kapitel

Einleitung: Der Morgen graut

Das Morgengrauen beschreibt den Übergang zwischen Nacht und Tag. Es beschreibt ganz besondere Lichtverhältnisse, die aufgrund der erst im Aufgang