Das Morgengrauen beschreibt den Übergang zwischen Nacht und Tag. Es beschreibt ganz besondere Lichtverhältnisse, die aufgrund der erst im Aufgang befindlichen Sonne noch kein klares Bild auf die Umgebung zulassen. Die Nacht mit ihrer alles umfassenden Dunkelheit geht dem Ende zu. Alles wirkt noch ein wenig wie hinter einem Schleier, manchmal Nebel-verhangen, dunstig…
Hat man lange in der Dunkelheit gelebt und erlebt nach langer Zeit erstmals wieder den Anbruch des Tages, so wird dieser vermutlich mit einem Lächeln empfangen werden. Endlich können die Augen wieder etwas erkennen. Hat man sich zu lange in der Dunkelheit befunden, so könnte man das Erleben des Morgengrauens vermeintlich bereits als den endgültigen Sonnenaufgang – den Tag – wahrnehmen. Ein Trugschluss. Denn erst nach Tagesanbruch und mit der aufgehenden Sonne wird das Bild vor uns eindeutig und klar.
Diese Metapher des Morgengrauens, die Katharina für Ihren Reisebericht gewählt hat, beschreibt sehr gut den „Dämmerzustand“ nach dem Durchleben einer in hohem Maße negativen und schädigenden Beziehung.
In einem derart zerstörerischen System lebt man oftmals wie in vollkommener Dunkelheit. Man fühlt sich alleine und hilflos, Angst und Ohnmacht sind oft die vorherrschenden Gefühle. Die Dunkelheit wird über die Jahre immer kräftiger und kann nahezu alle Lebensbereiche ergreifen, wodurch es immer schwerer wird, klar zu sehen.
Hat man es dennoch schlussendlich geschafft, nach langer Zeit, und vermutlich mit Unterstützung, der Dunkelheit zu entfliehen, beginnt langsam und allmählich der Morgen zu grauen. Das Dunkel weicht und man fühlt sich vorsichtig erleichtert, endlich wieder frei zu sein. Dieser Übergang fühlt sich so gut an, dass man geneigt ist, zu glauben, dass dies nun der Ausweg und man selbst in Sicherheit sei. Allerdings verhindert der Verbleib in der Dämmerung, das Bild vollständig im Tageslicht zu sehen. Er verhindert Verarbeitung, Entwicklung und Abschluss.
Dieser Reisebericht von Katharina (47), einer ehemaligen Klientin von mir, beschäftigt sich nicht nur mit ihrer damaligen Beziehung und Ehe, sondern ebenso mit den Problemen der Trennung sowie mit der Zeit nach ihrer schädigenden Beziehung und dem damit verbundenen negativen und zerstörerischen Umfeld. Dieser Erfahrungsbericht dient nicht zwingend jenen als Hilfe, die solchen Partnerschaften entkommen wollen, sondern richtet sich vor allem an all jene Männer und Frauen, die Schwierigkeiten haben, aus dem Morgengrauen herauszukommen, neue, erfüllende Partnerschaften einzugehen, sich um wichtige Bereiche des eigenen Lebens zu kümmern und selbstwirksam zu leben – mit der Vergangenheit, der Dunkelheit endgültig abzuschließen!
Viele andere Beiträge, Artikel und Blogs beschäftigen sich hauptsächlich mit dem Leben in solch schmerzhaften Beziehungen, beschreiben Möglichkeiten, aus diesen herauszukommen. Diese Tipps können auch sehr hilfreich sein, allerdings vermitteln derartige Beiträge oftmals den Eindruck, dass alles gut wäre, sobald diese negative Beziehung beendet sei.
Aber, es gibt einen Tag nach der Trennung. Und die Auswirkungen auf diese Zeit danach können manchmal sehr gewaltig und der Weg in ein gesundes Leben erneut sehr schmerzhaft sein.
Katharina beleuchtet anhand ihres Reiseberichts
- den Weg in ihre damalige Beziehung und Ehe sowie jenen steinigen hinaus,
- die Zeit nach ihrer Trennung von einer sehr schmerzhaften und zerstörerischen Partnerschaft sowie
- die teilweise schwerwiegenden Aus- und Nachwirkungen ihrer Beziehung auf ihr Denken und Handeln, ja sogar auf ihre Persönlichkeit, ihr eigenes Sein.
Dieser Bericht soll keinen Leitfaden, kein Patentrezept für das Überstehen einer Trennung darstellen. Jede Beziehung und jede Trennung sind immer individuell zu betrachten. Aber wir alle können sowohl einen Beitrag für uns selbst als auch für all jene leisten, denen es schwer oder sogar noch schwerer fällt, diese Zeit gut und gesund zu überstehen. Dies bedeutet auch, sich den eigenen Schwächen und Defiziten zu stellen. Denn eines müssen wir uns vor Augen halten:
auch wenn jemand die Kontrolle über ein anderes Leben erlangt hat, gelang es ihm auch deshalb, weil er die Möglichkeit dazu erhalten hat. Das macht den Betroffenen nicht zum Schuldigen, es ist aber wichtig, sich auch mit unseren eigenen Anteilen auseinanderzusetzen und vor allem keine Angst mehr zu haben, auch nicht vor uns selbst.
Im Nebel
Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
kein Baum sieht den anderen.
Jeder ist allein.
Voll von Freunden war mir die Welt,
als noch mein Leben licht war;
nun, da der Nebel fällt,
ist keiner mehr sichtbar.
Wahrlich keiner ist weise,
der nicht das Dunkel kennt.
Das unentrinnbar und leise
von allen ihn trennt.
Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
kein Baum sieht den anderen.
Jeder ist allein.
Hermann Hesse, 1905