Mein Name ist Katharina, ich bin 47 Jahre alt und habe einen Sohn. Vor rund zehn Jahren wurden Robert, mein heutiger Ex-Ehemann und Vater meines Sohnes, und ich geschieden. Der Weg durch diese Scheidung war nicht minder problematisch und gewaltig als die Zeit mit meinem Ex-Mann davor.
Heute bin ich wieder verheiratet und gemeinsam mit meinem Sohn leben mein Mann Michael und ich endlich und nach vielen Jahren harter Arbeit glücklich miteinander.
An dieser Stelle möchte ich mit jener Szene beginnen, die mich dazu gebracht hat, das Morgengrauen zu verlassen und endlich klar zu sehen – mir endlich Hilfe zu holen.
Damals hat es mir den Boden endgültig unter den Füßen weggezogen, aber mir schlussendlich geholfen, alles im Tageslicht zu betrachten:
Ich liege am Boden, es tut mir alles weh und doch glaube ich, nichts zu spüren. Ich öffne kraftlos meine Augen, sehe umgeworfene Stühle, unzählige Scherben, Stifte, Papier und andere Gegenstände verstreut am Boden liegen. Das Atmen fällt mir schwer und ich traue meinen Augen nicht. Ich verstehe nicht, was passiert ist, denn ich kann mich an nichts erinnern.
Welche Vermutung legt die Beschreibung dieser Szene nahe? Die vermutlich erste, nämlich dass mein Ex-Mann, Robert, auf mich losgegangen sei und mich körperlich misshandelt habe, ist nicht die richtige…
Als ich mich wieder aufgerappelt hatte und meinem Mann, Michael, ansah, blickte ich in ängstliche Augen. Er konnte es kaum glauben, was gerade geschehen war und erzählte mir, was vorgefallen war:
Stunden zuvor hatten wir über ein Thema, meinen Ex-Mann betreffend, gesprochen, eines, das mir schon seit Monaten schwer im Magen lag. Ich konnte mich noch erinnern, dass mir bei diesem Gespräch immer heißer wurde, die Wut in mir aufstieg und ich eigentlich gar nicht mehr weiterreden wollte. Michael und ich brachen das Gespräch ab und gingen in die Küche, um für das Abendessen alles vorzubereiten. Ich hatte etwas Besonderes geplant, aber leider war ich nicht bei der Sache und es ging alles schief. Ich wurde immer nervöser und hektischer. Die Hitze, die zuvor in mir aufgestiegen war, wurde immer stärker, das Atmen fiel mir immer schwerer und vor meinen Augen begann alles immer mehr zu verschwimmen. Ich hörte Michaels Stimme nur mehr ganz dumpf, wie durch einen Berg Watte hindurch und ich bekam immer mehr einen Tunnelblick…
das ist alles, woran ich mich noch erinnern kann. Michael erzählte mir dann, dass er eine kurze Bemerkung gemacht hatte, etwa, dass ich mich endlich beruhigen solle, das Essen eh nicht so wichtig sei und wir uns einfach was anderes überlegen müssten. Er hatte dann etwas lauter auf mich eingeredet, weil ich offenbar nicht auf seine Worte reagiert hatte. Daraufhin hatte ich ihn plötzlich völlig wutentbrannt angeschrien, was er sich eigentlich einbilden würde. Er solle mich nicht ständig korrigieren und mich endlich in Ruhe lassen. Michael war ganz entsetzt und dann auch verärgert über mein Ausrasten. Er bat mich, ruhig zu bleiben und fragte mich, was denn nur los sei. Ich hörte nicht mehr auf zu schreien und beschimpfte ihn aufs Übelste. Michael wollte gehen und sich diesem Geschrei entziehen, aber ich wollte ihn davon abhalten, riss ihn zurück und begann plötzlich und in voller Rage auf ihn einzuschlagen. Michael versuchte mich festzuhalten und mich zur Besinnung zu bringen, doch dadurch wurde es nur schlimmer. Ich schrie ihn an, riss mich los und schmiss mit allen möglichen Gegenständen, auch Gläsern, die mir nur in die Hände kamen, um mich. Ich schrie unentwegt: „Geht endlich weg aus mir!“, sowie unfassbare Schimpfwörter, die ich sonst nie in den Mund nehmen würde. Dabei warf ich weitere Gegenstände wie verrückt nach Michael oder auf den Boden.
Das ganze Toben hielt mehrere Minuten an, ehe mich Michael zu Boden ringen und mich festhalten konnte. Ich hatte bereits Schaum vor dem Mund. Michael hatte ständig meinen Namen gerufen, aber ich war wie weggetreten und scheinbar kurz bewusstlos. Erst nach einiger Zeit reagierte ich auf Michaels Stimme. Vollkommen kraftlos und erschöpft lag ich auf dem Küchenfußboden als ich wieder die Augen aufmachte…
Diese zählt zu den furchtbarsten Erfahrungen, die ich, aber auch Michael, je machen mussten. Und erst dieses erschreckende Ereignis, die berühmte Spitze des Eisbergs, hat mich dazu bewogen, mir professionelle Hilfe zu holen und nach den Gründen für diesen „Wahnsinn“ zu suchen.
Nicht nur während meiner ersten Ehe, sondern auch nach der Trennung von meinem Ex-Mann habe ich viele negative Erfahrungen gemacht, bevor es überhaupt zu dieser furchtbaren Szene gekommen ist. Ich habe
- unzählige Stimmungstiefs erlebt,
- an Schlafstörungen und Alpträumen gelitten,
- unglaubliche Ängste und Panikattacken durchlebt und
- mich in allen Lebensbereichen vollkommen infrage gestellt.
Durch die psychologische Beratung konnte ich die Vergangenheit mit meinem Ex-Mann endlich und vollkommen aufarbeiten. Bis zu diesem Zeitpunkt war mir nie klar, wie stark verhaftet ich im Morgengrauen war. Ich habe mich so lange aus dieser schädlichen Beziehung mit meinem Ex-Mann nicht lösen können, obwohl die Trennung schon Jahre zurücklag. Erst die Auseinandersetzung mit meiner ersten Ehe, die mir zwar wenig körperliche, aber dafür jede Menge psychische Gewalt erfahren hat lassen, hat mich aus diesem Nebel herausgeführt und mich endlich klarsehen und wieder leben lassen.
Mit meinen Erfahrungen möchte ich all jenen eine Hilfestellung geben, die auch ihren eigenen „Wahnsinn“ aufgrund einer schädigenden Beziehung durchleben oder auch all jenen, die das, so wie mein Mann, hilflos mitansehen müssen bzw. mussten und selbst Hilfe brauchen.