Bevor ich meinen Ex-Mann, Robert, kennengelernt hatte, konzentrierte ich mich vor allem auf meinen Job, der mir damals sehr viel Freude bereitete. Ich war damals in einem kleineren Büro als Innenarchitektin tätig. Daneben betrieb ich Sport, lernte seit knapp einem Jahr Wing Tsun in einem Verein, ging gerne auf Reisen und traf mich ab und an mit Freunden. Ich war ungebunden und genoss mein damaliges Leben. Ich war auch an einem Punkt angelangt, an dem ich gar keine Beziehung führen, sondern mich eben auf alles um mich herum, und vor allem auf meinen Job, konzentrieren wollte.
Und wie das Leben oft so spielt, lernte ich genau zu diesem Zeitpunkt meinen Ex-Mann kennen.
Auf den ersten Blick war Robert gar nicht wirklich mein Typ, aber seine (anfängliche) Art, machte in kürzester Zeit alles wett.
Bei unserem ersten Treffen zu zweit wollte er viel über mich, meine Wertvorstellungen, meine Hobbys, meinen Beruf und meine Familie und Freunde wissen. Er fragte viel nach, war sehr interessiert und zeigte sich sehr begeistert von meinem Leben. Zwar fand ich an manchen meiner gemachten Erfahrungen und einigen Erlebnissen gar nicht so viel Bedeutsames, aber Robert versicherte mir, dass ich auf all das stolz sein könne. Er bewunderte meine Begeisterung für ferne Länder und mein Engagement für Wing Tsun und meinte, selbst auch sehr begeistert von bestimmten Kampfsportarten zu sein. Ich erzählte ihm, dass ich mich im Verein sehr wohl fühlen würde, es eine sehr kleine gemütliche Gruppe, bestehend aus Männern und Frauen, wäre, die sich auch manchmal außerhalb des Trainings auf einen Kaffee oder zum Abendessen treffen würde.
Bereits bei unserem zweiten Treffen, schwor mir Robert, dass er noch nie so eine tolle Frau wie mich kennengelernt hätte und gestand mir auch sehr schnell, dass er sich wohl in mich verliebt hätte.
Zum damaligen Zeitpunkt lebte Robert bereits seit einigen Jahren mit einer Frau zusammen. Die Lebensgemeinschaft beschrieb er wie eine „Wohngemeinschaft“, denn sie würden eigentlich nur mehr nebeneinanderher leben, hätten keine Gemeinsamkeiten und eigentlich wisse er gar nicht, ob er sie überhaupt noch liebe. Sie hätte ihm zwar viel geholfen, sei eine gute Freundin, aber nun auch nicht mehr. Leider sei sie psychisch sehr instabil, worunter er sehr leiden würde. Sie würde oft in Depressionen verfallen, hätte keine Lust mehr, irgendetwas zu unternehmen und im Bett liefe schon seit Ewigkeiten nichts mehr. Vermutlich habe er aber aufgrund ihres psychischen Zustands ein schlechtes Gewissen, sich von ihr zu trennen, meinte er.
Daraufhin erzählte er mir sehr viel von seinen eigenen Wertvorstellungen und seiner Lebensführung. Er sehe Mut, mentale Stärke und Standhaftigkeit bei Widrigkeiten, die das Leben so bereithalte, für wichtige Tugenden, genauso wie sich für andere einzusetzen. Er sei ein „Gerechtigkeitsfanatiker“ und hätte stets ein ehrliches Leben geführt. Natürlich hätte auch er mal gelogen, er sei ja auch kein „Heiliger“, hätte aber immer alles im Nachhinein aufgeklärt und niemanden in Ungewissheit zurückgelassen. Auch ein hohes Maß an Disziplin sei ihm sehr wichtig, sonst hätte er vermutlich in seinem Beruf nicht so viel erreicht. Er erzählte mir, dass ihm auch Familie sehr wichtig wäre. Seine Mutter würde ihm sehr viel bedeuten und für sie habe er auf sehr Vieles im Leben verzichtet, aber all das wäre es ihm wert gewesen. Sein Vater wäre vor gut einem Jahr gestorben, zu dem er aber keinen guten Kontakt gehabt hätte. Seine Eltern waren geschieden und in aufrechter Ehe wäre sein Vater nicht gut mit seiner Mutter umgegangen und daher hätte er selbst keinen Kontakt mit ihm mehr haben wollen. Diese konsequente Haltung, auch einem Elternteil gegenüber, wäre ihm sehr wichtig.
Ich hörte ihm aufmerksam zu und war begeistert von seiner Erzählweise, seinen Ansichten und seinem Wunsch, stets ein gerechtes und ehrliches Leben führen zu wollen. Ich hatte keine Zweifel an seinen Worten. Ganz im Gegenteil.
Robert schrieb mir darauf täglich sehr viele Nachrichten per WhatsApp oder Emails. Es hatte den Anschein, als hielte er mich über alles, was ihn betraf auf dem Laufenden, und sehr oft schrieb er mir, wie toll er mich finden würde und wie gerne er doch mit mir zusammen wäre und sich nach mir verzehren würde. Solche Nachrichten kamen auch manchmal spät in der Nacht. Zwar kamen mir diese dann schon etwas merkwürdig vor, auch hatte ich manchmal den Eindruck, als ob er diese unter Alkoholeinfluss geschrieben hätte, aber all das schmeichelte mir viel zu sehr, als dass ich weiter darüber nachdachte.
Es dauerte nicht lange bis wir uns wieder trafen. Wir schlenderten über einen Markt und plauderten. Robert lachte auffallend viel, fast bei Allem, was ich sagte. Da es nicht unpassend war, störte es mich auch nicht, sondern gab mir das Gefühl, dass er mir zuhörte und die Zeit mit mir genoss. Auf einmal drehte er sich zu mir um, sah mich an und meinte, dass er mich am liebsten auf der Stelle heiraten würde. Er hätte noch nie derartige Gefühle für jemanden gehabt und auch wenn wir uns noch nicht lange und gut kennen würden, so wisse er doch, dass er sich Hals über Kopf in mich verliebt hätte und mit mir sein Leben verbringen möchte. Er würde sich noch an diesem Abend von seiner Freundin trennen und ihr alles sagen. Er wisse zwar noch nicht, wo er eine Bleibe finden werde, da es ihre Wohnung wäre, in der sie lebten, aber er könne inzwischen sicher irgendwo unterkommen.
Irgendwie ging mir das alles etwas zu schnell, aber meine Bedenken wischte Guido auf zauberhafte Weise einfach weg. Auf einmal wollte auch ich voll und ganz mit ihm zusammen sein und obwohl ich davor noch nie mit einem Partner zusammenleben wollte, konnte ich mir sogar das auf einmal zu 100% vorstellen. Da ich selbst in einer sehr kleinen Wohnung wohnte und auch nicht wollte, dass es zwischen Robert und seiner zukünftigen Ex-Partnerin unangenehm oder sogar problematisch werden könnte, schlug ich Robert vor, dass wir uns doch gemeinsam eine Wohnung suchen könnten. Er war von diesem Vorschlag hellauf begeistert und sagte mir, dass er so unglaublich glücklich sei… so glücklich wie noch nie.
Nach kürzester Zeit hatten wir eine Wohnung gefunden, unterschrieben den Mietvertrag und zogen zusammen. Ich war so unglaublich glücklich… so glücklich wie noch nie.
Wir waren gerade mitten im Umzug, als Robert aus beruflichen Gründen für zwei Tage verreisen musste. Ich hatte ihm noch vor seiner Abreise beiläufig mitgeteilt, dass ich an diesem Tag nach der Arbeit wieder das Wing Tsun Training besuchen würde. Robert wünschte mir viel Spaß und fuhr los.
Während des Trainings machte ich allerdings bei einer Übung eine derart unglückliche Bewegung, dass ich stürzte und mein Knöchel innerhalb kürzester Zeit anschwoll. Einer meiner Trainingspartner, mit dem ich mich gut verstanden und von dem ich auch Robert erzählt hatte, bot sofort an, mich ins Krankenhaus zu bringen. Da er auch der einzige war, der von unserer Gruppe mit dem Auto zum Training gekommen war, nahm ich das Angebot dankend an. Im Krankenhaus wurde ein Bänderriss festgestellt. Ich hatte keinen Handyempfang, weswegen ich Robert nicht bescheid geben konnte. Mein Trainingspartner brachte mich darauf nachhause und in der noch fast leeren Wohnung sah ich auf meinem Handy, dass ich bereits mehrere Nachrichten und Anrufe in Abwesenheit von Robert erhalten hatte. Ich rief ihn augenblicklich zurück und es war sofort spürbar, dass Robert in hohem Maße angespannt war. Es dauerte nicht lange und er wurde auf einmal laut. Ich merkte, dass er Alkohol getrunken hatte. Er war sehr enttäuscht von mir, vor allem, dass ich jetzt, in der „Hochphase“ des Umzugs, unbedingt das Training hatte besuchen müssen.
Erst nach dem Telefonat fiel mir auf, dass er mich nicht einmal gefragt hatte, wie es mir denn ginge.
Nachdem er seine Wut über meine Unverantwortlichkeit rausgelassen hatte, fokussierte er sich immer mehr auf meinen Trainingspartner. Er wollte wissen, warum mich gerade dieser Mann ins Krankenhaus gebracht hatte, ob mich dieser in die Wohnung begleitet hatte und ob mal was zwischen uns gelaufen sei. Doch alle meine „Neins“ und Beteuerungen wurden von ihm ständig unterbrochen und scheinbar gar nicht gehört. Robert wurde immer lauter, mein Herz pochte wie wild bis ich es nicht mehr aushielt und ohne ein weiteres Wort in Panik auflegte. Ich war total verwirrt und konnte nicht glauben, was sich da gerade abgespielt hatte.
Robert versuchte mich darauf unzählige Male zu erreichen, fluchte auf die Mailbox bis alles plötzlich verstummte… meine Unsicherheit wurde immer größer. Ich hatte plötzlich Angst, dass er in dieser Wut die Beziehung beenden könnte und machte mir Vorwürfe, dass ich ihm scheinbar meine Situation nicht gut genug erklären hatte können.
Nach einigen Minuten Funkstille rief er erneut an. Ich hob ab, sagte aber zunächst kein Wort. Ich hörte ihn plötzlich schluchzen und weinen. Es täte ihm so leid, dass er mich angeschrien hatte. Er hatte so furchtbare Angst. Die Zeit des Wartens auf meinen Rückruf oder auf eine Nachricht von mir, hatte ihn verrückt gemacht. Er konnte ja nicht wissen, was mit mir passiert war. Er bereue seinen Ausbruch, aber ich müsse ihn verstehen. Er habe so große Angst um seine große Liebe. Es tat mir einfach nur mehr leid, dass ich aufgelegt hatte und nicht versucht hatte, zuallererst seine Sichtweise zu verstehen. Er könne ja nichts dafür, dachte ich mir. Sollte es mich nicht freuen, dass sich jemand um mich sorgt? Ich hatte ein schlechtes Gewissen und entschuldigte mich bei ihm, dass ich einen Fehler begangen hatte. Schließlich hätte ich ja noch bis nach dem Umzug auf das Training warten können und außerdem tat es mir leid, dass ich nicht bedacht hatte, dass er Angst um mich haben könnte…
Ich stellte Robert keine weiteren Fragen. Ich wollte nicht mehr wissen, warum er mich nicht nach meinem Befinden gefragt hatte, nicht, was mein Trainingspartner mit seiner Angst um mich zu tun hatte, nichts davon. Ich war einfach nur froh, dass sein Ausbruch vorbei war und da ich keine Fragen mehr stellte und die Lage aus seiner Sicht verstanden hatte, zog er mich immer weiter in die Dunkelheit hinein und ich ließ es ohne jegliche Gegenwehr zu.