Ab dem Zeitpunkt unseres Zusammenziehens kümmerte ich mich neben meiner Arbeit stets um den gesamten Haushalt. Auch stand jeden Abend nach der Arbeit eine warme, selbst gekochte Mahlzeit auf dem Tisch. Auch wenn ich mal nichts aß, für Robert kochte ich täglich – so wollte er das, so war er es von seiner Mutter gewohnt. All das machte mir nichts aus, ich tat es gerne und mochte es, immer etwas zu tun zu haben. Vor allem, da ich ja mit der Zeit ohnehin keine anderen Freizeitaktivitäten mehr hatte – keine Freunde mehr, keinen Sport. Ich stürzte mich auch noch mehr in meine Arbeit und ich denke, dass ich mir sowohl durch meine Arbeit, als auch durch das ständige Tun und Werken im Haushalt und um Robert herum den scheinbaren Vorteil verschafft hatte, über meine Verluste nicht nachdenken zu müssen.
Doch schon bald weitete sich die Dunkelheit auch auf mein Arbeitsleben aus, wodurch ich in ein tiefes Loch fiel.
Robert hatte bereits zu Beginn unserer Beziehung immer wieder das eine oder andere an meinem Arbeitsumfeld auszusetzen. Er traf meine Arbeitskollegen das erste Mal im Rahmen einer Weihnachtsfeier und ich hatte den Eindruck, als würde er sich mit meinen Kollegen und meinem Chef gut verstehen. Doch schon bald verteufelte er so gut wie alle in meinem unmittelbaren Arbeitsumfeld. Und schon wieder hielt er mir vor, ich würde mich nur ausnutzen lassen. Ich hätte Besseres verdient und die Männer in meiner Arbeit würden mich ja ohnehin nur als Lustobjekt sehen.
Bestätigt sah sich Robert als mich einmal mein Chef an einem Abend anrief, um sich über bestimmte Unterlagen, die er für den kommenden Tage bräuchte, zu informieren. Robert hielt mir einen stundenlangen Vortrag darüber, wie respektlos er dieses Verhalten finden würde und dass er eine Einmischung von MEINER Arbeit in SEIN Leben nicht dulden würde. Meine Erklärungs- und Beteuerungsversuche gingen immer ins Leere.
Ab unserer Hochzeit wurden diese zunächst noch kleinen Sticheleien und Anmerkungen langsam zu Demütigungen und Beleidigungen und wenn derartige Gespräche zu eskalieren drohten, weil Robert sich unaufhörlich in diese reinsteigerte, passierte immer dasselbe: Er machte sich ein Bier nach dem anderen auf und redete nach einem langen Monolog plötzlich kein Wort mehr mit mir. Er sah dann immer sehr wütend aus und so, als ob er sich nun ganz stark zurückhalten müsse, um nicht vollkommen auszurasten. Sein Schweigen fühlte sich immer wie eine Bestrafung für mich an. In solche Konfliktsituationen ging ich dann meistens in ein anderes Zimmer und, da diese Gespräche vorwiegend in den Abendstunden stattfanden, dann auch ins Bett. Manchmal kam Robert nach einer gefühlten Ewigkeit zu mir und wollte mit mir reden, ohne Rücksicht auf meinen Schlaf, oder er schrieb mir emotionale Briefe, die er mir dann für den nächsten Arbeitstag in meinen Rucksack steckte, sodass ich diese erst dort finden und lesen konnte. Egal ob persönlich oder per Brief, immer waren es Entschuldigungen und Versicherungen seiner Liebe, gepaart mit, teilweise subtilen, Vorwürfen hinsichtlich meines Verhaltens. Es täte ihm zwar immer alles leid und er wollte doch nur verhindern, dass mich andere ausnutzen oder für ihre Zwecke missbrauchen würden, aber schlussendlich müsse ich doch einsehen, dass ich falsch und er richtig liegen würde. Und außerdem müsse ich doch sehen, dass ich ihn brauche und wir uns von anderen Menschen das Leben nicht vermiesen lassen dürften. Dass in Wahrheit er alleine derjenige war, der mich missbrauchte und kontrollierte, konnte ich jahrelang nicht erkennen.
Immer wieder fiel ich auf seine Masche rein. Immer wieder dasselbe Spiel: eine scheinbare Harmlosigkeit führte zu einem sinnlosen Streit und auch wenn sich Robert entschuldigte, so waren diese Entschuldigungen nur das Band, das mich immer weiter in die Dunkelheit zog, denn schlussendlich war ich es immer gewesen, die ihr Verhalten zu seinen Gunsten angepasst hatte. Dass ich bereits wenige Monate nach unserem Zusammenziehen, gar nicht mehr glücklich war, konnte ich in der Dunkelheit nicht mehr erkennen.
Und so ging ich meiner Arbeit nach und schob alle Konflikte zwischen Robert und mir beiseite. Ich versuchte jeden Tag so schnell wie möglich zuhause zu sein, um unter allen Umständen zu vermeiden, dass Robert glauben könnte, ich hätte mich noch mit dem einen oder anderen Kollegen verplaudert. Mit der Zeit merkte ich, dass ich bereits in der Arbeit anfing, ständig auf die Uhr zu sehen, um ja nicht zu spät nachhause zu kommen. Ich begann, mir ständig Gedanken zu machen, was ich kochen sollte, ob ich noch andere Hausarbeiten zu erledigen hatte und vor allem, ob ich alles zu Roberts Zufriedenheit schaffen würde. Ich hatte Angst vor Konsequenzen, die zu dieser Zeit von endlosen Diskussionen, Vorhaltungen und Vorwürfen, lauten Seufzern, genervtem Augenrollen und noch mehr Alkohol geprägt waren. Ich wusste nicht mehr, wie ich mit männlichen Kollegen umgehen sollte und vermied immer mehr den Kontakt mit ihnen, um ja nicht irgendwelche „falschen“ Signale auszusenden, wie Robert mir immer wieder vorwarf.
Mit der Zeit wurde mein Konzentrationsvermögen immer schlechter und es machte sich eine Vergesslichkeit in mir breit, die ich noch nie erlebt hatte. Für Robert blieb diese natürlich nicht unentdeckt und immer, wenn er mich an etwas erinnern musste oder ich etwas vergessen hatte, seufzte er tief und rollte mit den Augen. Ich entschuldigte mich jedes Mal dafür und ich wusste auch nicht, was plötzlich mit mir los war. Dass ich schon unter ziemlich starken Stress litt, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Aufgrund dieser Anspannung und dem teilweise unbewussten Vermeiden von Angriffsflächen, um von Robert keine Kritik zu erhalten, vernachlässigte ich meine Arbeit immer mehr. Ich begann, immer mehr an mir zu zweifeln. Ich konnte mir nichts mehr merken, machte ständig Fehler und war daher nicht mehr verwundert, wenn Robert deshalb verärgert war. Er schimpfte dann oft und meinte, er würde das so nicht mehr aushalten. Ich sei der „Fehler im System“.
Eigentlich würde er mich so nicht heiraten wollen. Das war für mich ein brennender Stich ins Herz. Ich hatte so große Angst, nun auch ihn zu verlieren. Ich hatte keine Freunde mehr, keinen sozialen Austausch, auch nicht mehr mit meinen Eltern so wie früher. Er war der Einzige für mich geworden.
Und so hatte Robert leichtes Spiel, mich vor die nächste Wahl zu stellen: entweder er oder meine Arbeit. Wenn er mich heiraten solle, dann nur, wenn ich diesen Job aufgebe und mir etwas anderes suche. Dieser Job hätte mich schon so stark in der Hand, dass ich kaum noch klar denken könnte. Ich hatte das Gefühl, als würde mir nun der Boden unter Füßen weggezogen werden. Ich begann zu weinen und Robert schlug vor, eine Paarberatung in Anspruch zu nehmen. Die könnte uns und mir eventuell Klarheit bringen. Ich hielt diesen Vorschlag für sehr vernünftig, damals. Denn gleich zu Beginn der Paarberatung, nachdem uns die Beraterin über ihre Arbeitsweise informiert hatte, begann Robert über unser Kennenlernen bis zu diesem Tag zu erzählen. Er redete und redete und redete …. Er meinte, noch nie so verliebt gewesen zu sein, aber nun immer mehr verzweifle, weil es mir nicht gut ginge und er mir doch nur helfen wolle. Er begann zu weinen und meinte, dass eine Hochzeit auch für ihn ein großer Schritt sei, den er nur mit hundertprozentiger Gewissheit gehen könne, denn das wäre für ihn einmalig in seinem Leben. Er meinte, dass ich nicht mehr die Frau wäre, die er kennengelernt hatte. Ich sei psychisch instabil, würde alles vergessen und zu einer Chaotin werden. Er erzählte darauf wieder von seinen Werten und dass ich mich auf diesem Weg verloren hätte. Ich hörte alles nur mehr wie durch Watte – dumpf und weit entfernt. Ich hatte das Gefühl, das alles schon zum x-ten Mal zu hören… und mein damaliger Eindruck hat mich nicht getäuscht.
Plötzlich hörte ich die Beraterin sprechen. Sie wandte sich an mich und ohne, dass ich ein Wort zu Roberts Ausführungen oder ein sonstiges verloren hatte, meinte sie, sie würde es gut und wichtig finden, wenn ich mir Hilfe in Form eine Einzeltherapie holen würde. Ich war darauf wie erstarrt. Ich rang mit mir, keine Träne zu vergießen und wollte so normal und stark wie möglich wirken. Doch ich merkte, wie es in mir hochstieg. Ich wollte nur mehr schreien. Ich wollte die Beraterin anschreien, was sie sich überhaupt erlauben würde, mir nach einem Monolog und einer Einzelsicht eines anderen Menschen eine Therapie verordnen zu wollen. Aber, alles was ich tat, war still dazusitzen, den Kopf zu senken und zu nicken. Ich beugte mich diesen Aussagen und dann flossen Tränen über meine Wangen…
Anfänglich hatte ich noch Zweifel, ob der Vorschlag der Beraterin zurecht geäußert worden war. Aber nach einer weiteren Diskussion mit Robert, in der er mir wieder seine bedingungslose (!) Liebe versicherte und meinte, alles für mich zu tun, wenn ich seine Worte und jene der Paartherapeutin nur annehmen würde, kam ich immer mehr zu der Überzeugung, dass ICH ein großes Problem verursacht hatte und Robert unter mir und meinen Zuständen leide.
ICH müsste etwas ändern und dürfe mich nicht mehr so wichtig nehmen.
ICH habe Schwierigkeiten, die nur ich alleine lösen könnte.
ICH dürfe nicht die Schuld bei Robert suchen.
Wir gingen kein weiteres Mal mehr zu dieser Beratung, denn Robert war der Ansicht, dass diese, aus seiner Sicht, erfolgreich war. Auch bestand er nicht darauf, dass ich mich einer Einzeltherapie unterziehen solle. Wie mir erst später bewusst wurde, reichte es ihm, dass mir lediglich die Notwendigkeit einer Therapie attestiert worden war. Und die für ihn wichtigste Entscheidung hatte ich ohnehin gleich nach der Therapiesitzung getroffen:
Nach dieser Sitzung entschloss ich mich, meinen Job zu kündigen.