Nach der Paartherapiesitzung wurde alles ein wenig ruhiger. Ich hatte mich weiter an Guidos Vorstellungen angepasst und tat alles, um ihm gerecht zu werden. Zudem hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich bereits vollkommen davon überzeugt war, dass die Paarberaterin und Robert recht hatten und ich Hilfe bräuchte. Mir tat alles so schrecklich leid. Ich sah mich für jeden Streit und Konflikt hauptverantwortlich und wollte unbedingt alles von nun an besser machen.
Wenn ich Robert diese Einsicht gegenüber aussprach, tätschelte er mich oft auf den Kopf und meinte, dass nun alles gut werden würde. Mit seiner Hilfe würde ich das schon schaffen. Ich war einfach nur glücklich, dass Guido mich, nach alldem, doch noch wollte.
Und so machte es mir nichts aus, dass mir sogar seine Mutter Ratschläge für meine Haushaltsführung gab. So erzählte sie mir ausführlich, was sie nicht immer für Robert gekocht hätte und was seine Lieblingsspeisen wären, die ich ihm unbedingt zubereiten müsse. Sie schickte mir Rezepte mit ihren eigenen Notizen, die ich jedenfalls befolgen sollte. Auch gab sie mir Tipps wie ich seine Wäsche, auch seine Unterhosen und Socken, waschen, anschließend bügeln und zusammenlegen sollte, sodass keine unangenehmen Falten entstünden. Was sie mir nicht schickte, schrieb ich auf, damit ich ja nichts vergessen konnte.
Ich war sehr glücklich, als mich Robert eines Abends lobte, dass ich gut gekocht hätte. Er wäre froh, dass mir seine Mutter so viele wertvolle Tippe gegeben hatte. Dass ER sie darum gebeten hatte, habe sich bezahlt gemacht. Wie beleidigend und arrogant seine Aussagen waren, bemerkte ich schon lange nicht mehr. Ich war ihm dankbar und ich hoffte, dass ich nun einen Weg gefunden hatte, ihn glücklich zu machen und einer Hochzeit vielleicht doch nichts mehr im Wege stehen würde.
Doch dann kam der Polterabend. Da ich bestimmte Personen, die mich (aus Roberts Sicht) nur negativ beeinflussen würden, nicht einladen wollte und konnte, blieben vier Kolleginnen, davon zwei ehemalige, und zwei Kollegen aus dem Büro über, mit denen ich mich (noch) gut verstand und gegen die Robert bis zu diesem Zeitpunkt nichts Negatives geäußert hatte. Robert selbst verabredete sich an diesem Tag mit seinen Freunden und wir vereinbarten, dass wir uns zu späterer Stunde in einem bestimmten Lokal treffen würden. Die gemeinsame Zeit mit meinen Kollegen war sehr angenehm und manchmal hatte ich das Gefühl, dass alles wieder normal und gut wäre. So hatte ich nach langer Zeit mal wieder so richtig Spaß und als wir in dem Lokal zum vereinbarten Zeitpunkt ankamen, waren Robert und seine Freunde bereits dort. Ich begrüßte alle, aber Robert schien irgendwie in Gedanken zu sein und so ließ ich ihn mit seinen Freunden in Ruhe. Ich hatte weiterhin viel Spaß und ging etwas später gemeinsam mit einem Kollegen an die Bar, um für unsere Runde Getränke zu besorgen. Dort stand ebenso ein Bekannter meines Kollegen. Die beiden plauderten miteinander, mein Kollege stellte uns vor und ich klinkte mich ins Gespräch mit ein. Wir witzelten herum, bis unsere Getränke fertig waren und gingen dann wieder zu unserem Platz zurück. Wieder einige Zeit später verabschiedeten sich meine Kollegen und ich ging zu Roberts Runde. Ich setzte mich zu ihnen an den Tisch und wie aus heiterem Himmel begann Robert mich zu beschimpfen und mir eine Szene zu machen. Er war stark alkoholisiert und seine Freunde versuchten ihn zu beruhigen, doch Robert hörte nicht auf. Er hätte mich beobachtet, als ich mit meinem Kollegen „und so einem Typen an der Bar“ geflirtet hätte. Er meinte, ich hätte die Chance genutzt, um mir gleich „einen Nächsten“ anzulachen und dass mein Verhalten zum Genieren wäre. Ich würde ihn wie einen Idioten dastehen lassen. Ich sei eine Schlampe und Ausgeburt der Hölle. Ich war sprachlos und konnte es nicht fassen. Seine Freunde redeten auf ihn ein, doch er wurde immer lauter, bis er schließlich seine Sachen packte vor mir auf den Boden spukte und verschwand. Ich brach zusammen. Ich weinte und verstand die Welt nicht mehr…
Obwohl ich spätestens zu diesem Zeitpunkt selbst meine Sachen packen und verschwinden hätte sollen, habe ich es nicht getan. Ich habe Roberts morgendlichen Zusammenbruch wegen dieses Abends, seinen Herzschmerz und seine Verzweiflung wieder geglaubt. Ich habe ihm wieder geglaubt, dass er mich doch über alles lieben würde. Er hätte Angst gehabt, seine „tolle Frau“ zu verlieren und dass ich mir bereits einen anderen gefunden hätte. Ich habe ihm wieder geglaubt, nämlich dass sich nach der Hochzeit, mit der wir uns ewige Liebe und Treue schwören würden, alles besser werden würde.
Die Entscheidung, Robert heiraten zu wollen, habe ich nicht ein einziges Mal, weder während oder nach der Paartherapie noch nach dem Polterabend, infrage gestellt. Ganz im Gegenteil – ich fragte mich ständig, was ich ohne ihn denn machen würde und glaubte ohnehin, ihn nicht verdient zu haben. Ich war davon überzeugt, dass sich doch kein anderer Mann (mehr) für mich interessieren würde, nicht zuletzt, weil ich nichts Liebenswertes (mehr) an mir hatte (ich konnte mich kaum mehr konzentrieren oder gut an Vergangenes erinnern, war wenig belastbar, oft traurig und niedergeschlagen) und zu einer regelrechten Chaotin geworden war – zumindest glaubte ich Robert diese Darstellung meiner Person. Ebenso fand ich an mir nichts mehr attraktiv und dachte nur mehr daran, dass ich froh sein müsste, wenn mich Robert trotz allem noch heiraten wollte. Also versuchte ich, alles so gut wie möglich für ihn zu gestalten.
Noch vor unserer Hochzeit vereinbarten Robert und ich, dass ich, aus finanziellen und versicherungstechnischen Gründen, mit der Kündigung meiner Arbeitsstelle noch ein wenig warten sollte. Zuerst sollte ich mir einen Plan für meine Arbeit als selbstständige Innenarchitektin zurechtlegen, damit ich als solche auch gleich nach der Kündigung starten könnte. Dass ich mir selbst genügend Gedanken über meine selbstständige Tätigkeit und die Vorbereitungen darauf machte, interessierte Robert nicht. Er musste mir seine Sicht, seine Beurteilungen und Meinungen nicht nur einmal mitteilen und ich hörte mir alles an, egal wie oft ich diese oder jene Schilderung schon gehört hatte.
Zwar hatte ich bereits bevor ich Robert kennengelernt hatte, darüber nachgedacht, mich irgendwann, mit viel Erfahrung, selbstständig zu machen, aber so früh fühlte ich mich eigentlich gar nicht bereit dafür. Doch Robert war von dieser Idee ganz begeistert und meinte, so könnte ich hauptsächlich von zuhause aus arbeiten, hätte keine „nervigen“ Kollegen mehr, würde viel mehr verdienen und könnte mich ganz locker nebenbei um den Haushalt kümmern.
Auch wenn es mir nicht leichtfiel, meinen geliebten Job zu kündigen, so war ich aufgrund von Roberts Worten und Ansichten und auch nach der Paartherapiesitzung davon überzeugt, dass es sicher die richtige Entscheidung sein würde. Es würde viele Probleme beseitigen. Dass diese Probleme allerdings nur wegen Robert in mein Leben gekommen waren, sah ich noch bis lang nach unserer Scheidung nicht.
Damit ich aber auch meiner Arbeit von zuhause aus seriös und professionell nachgehen könnte, bräuchte es natürlich ein demensprechendes „Umfeld“. Robert war davon überzeugt, dass dies in unserer Mietwohnung nicht möglich sei und er machte den Vorschlag, eine Wohnung zu kaufen. Meine anfänglichen Bedenken wischte er wie immer vom Tisch und meinte, dass wir doch hier und jetzt einen Neuanfang begehen könnten. Er würde mir all meine „Fehler“ verzeihen und über alles hinwegsehen. Er versprach mir auch, sich dann endlich in den Haushalt einzubringen und bestimmte Aufgaben zu übernehmen. Er würde mit „seiner Ehefrau“ so gerne in eine eigene Wohnung ziehen und den Rest seines Lebens mit ihr verbringen wollen. Ich war zu diesem Zeitpunkt so gerührt und überwältigt von seinen Worten, dass ich (erneut) zu allem „Ja“ sagte. „Ja“ zur Hochzeit. „Ja“ zur Wohnung.
Robert begann sogleich, eine Wohnung im Internet zu suchen und wurde – auffallend – schnell fündig. Er konnte sich vor Begeisterung gar nicht mehr einkriegen. Die Wohnung sei „perfekt“ für uns. Wir sahen sie uns mehrmals an und meine Zweifel hinsichtlich so mancher Punkte, begegnete Robert ganz locker, indem er meinte, den Kaufvertrag vorab ohnehin ein paar befreundeten Juristen zeigen zu wollen. Auch sah sich ein ihm bekannter Bausachverständige die Wohnung an und konnte, so wie die Juristen, nur Positives berichten. Dass ich all das nur aus Roberts Mund hörte und weder einen Juristen noch diesen Sachverständigen zu Gesicht bekam, machte mich damals – leider – nicht stutzig.
Wie immer glaubte ich Roberts Schilderungen und glaubte ihm aufgrund seines Auftretens alles, ohne nur im Geringsten daran zu zweifeln.
Obwohl die Wohnung wirklich „perfekt“ zu sein schien, wussten wir bzw. ich allerdings immer noch nicht, wie wir die Kaufsumme für die Wohnung aufbringen könnten. Robert gab sein Geld sehr gerne für Sammlerstücke, teure Kleidung und Accessoires für ihn selbst aus und hatte am Monatsende meist wenig bis gar nichts mehr auf dem Konto. Auch hatte er nie etwas gespart. Das war ein weiterer Grund, warum er dann auf einmal heulend vor mir zusammenbrach und sich lauthals Vorwürfe machte. Ich glaubte ihm seine Verzweiflung. Da ich finanziell selbst keine Probleme hatte, nicht nur, weil ich immer etwas auf die Seite gelegt hatte, sondern auch weil mir meine Eltern immer unter die Arme gegriffen hatten, war es für mich selbstverständlich, Robert in diesem Moment zu beruhigen und auf seine Bitte, meine Eltern – auch aufgrund der bevorstehenden Hochzeit – um ihre Unterstützung zu ersuchen, einzugehen.
Und so kauften wir – beziehungsweise ich mit Unterstützung meiner Eltern – diese Wohnung, die Robert bald schon als sein „Machtzentrum“ bezeichnete und die für mich nach unserer Hochzeit zum (goldenen) Käfig wurde.