Ab dem Zeitpunkt der Geburt unseres Sohnes wurden Roberts Demütigungen immer mehr. Nicht nur, dass er mich als Mutter und Ehefrau kritisierte, so war er zudem der Ansicht, dass ich mich nur mehr gehen lassen und mich nicht mehr bemühen würde, für ihn attraktiv zu sein. Erst später konnte ich erkennen, dass ich mich gar nicht verändert hatte, sondern immer noch schlank und gepflegt war und mich auch darum bemüht hatte, wie zuvor. Ich hatte ja schließlich an meiner Routine nichts geändert und da ich vor allem zu diesem Zeitpunkt sehr wenig aß und mich zwangsläufig viel bewegte, da ich einfach genug zu tun hatte, hätte ich so manche seiner beleidigenden Aussagen, meinen Körper betreffend, nicht ernst nehmen dürfen.
Robert warf mir mit der Zeit vor, dass ich mich ohnehin nur mehr um unseren Sohn kümmern und ihn selbst geringschätzen würde. Ich würde ihm nicht mehr die ihm gebührende Aufmerksamkeit schenken und meine „ehelichen Pflichten“ vernachlässigen. Leider glaubte ich das, nahm seine Worte sehr ernst und versuchte noch mehr, alles zu tun, um ihm zu zeigen, dass ich doch auch ihn schätzen und lieben würde. Aber egal, was ich tat, es war nie genug. Einmal rief mich sogar seine Mutter an, die mir mitteilte, dass sich Robert über mich beschwert hätte. Sie könne mir gerne wieder ein paar Tipps geben, zum Beispiel wie ich meinen Sohn konsequenter erziehen könne, aber auch mit welchem Waschmittel ich die Wäsche waschen, wie ich das Bad streifenfrei sauber halten, die Fenster am besten putzen könne, und so weiter und so weiter. Ich dachte wirklich, dass mich das aus meiner Lage befreien könnte, aber auch das war nicht genug.
Und eines Abends hatten die Eskalationen eine neue Dimension erreicht:
Robert hatte mir versprochen, gegen 18.30 Uhr zuhause zu sein, um sich um unseren Sohn zu kümmern und ihn ins Bett zu bringen. Ich hatte einen Termin mit einem Kunden vereinbart und musste diesen unbedingt für meine Arbeit gewinnen – doch Robert kam nicht.
Wir hatten diese Situation schon sehr oft gehabt, dass Robert nicht zum vereinbarten Zeitpunkt zuhause war. Er hatte sich immer auf den vielen Verkehr ausgeredet. Ich hatte deshalb begonnen, meine Termine immer später anzusetzen, damit Robert nicht früher aus dem Büro gehen musste, aber dennoch genügend Zeit hatte, um auch rechtzeitig zuhause zu sein. Trotzdem war er nie pünktlich.
Als mein Termin unmittelbar bevorstand, versuchte ich Robert telefonisch zu erreichen. Ich rief ihn an, aber er lehnte alle Anrufe ab. Ich schrieb ihm Nachrichten, aber er reagierte auf keine davon. Ich hatte große Sorge, dass etwas passiert war und sagte dem Kunden ab.
Gegen 20.00 Uhr kam Robert nachhause. Unser Sohn schlief bereits. Ich lief zu Robert in die Garderobe und fragte ihn besorgt, was denn passiert sei. Er drehte sich zu mir um und begann mich, ohne zu zögern, anzuschreien. Er brüllte, dass ich ihn endlich in Ruhe lassen und nicht ständig einengen solle und dass ich aus ihm einen schwachen Menschen gemacht hätte. Robert war sturzbetrunken. Er warf mir so viele Dinge an den Kopf, die ich heute nicht mehr wiedergeben kann, die aber allesamt bedeuteten, dass ich ihn ruinieren würde. Ich versuchte ihn zu beruhigen und zu erklären, dass ich mir doch nur Sorgen gemacht hätte und seine Aufregung nicht verstehen könne. Doch Robert ließ mich nicht reden. Er schrie mich unentwegt an und auf einmal stürmte er an mir vorbei, riss die Türe des Zimmers unseres Sohnes auf und zerrte an ihm herum, um ihn aufzuwecken. Er wolle seinem Sohn „Gute Nacht“ wünschen und wenn ich das nicht möchte, dann solle ich doch die Polizei rufen. Mein Sohn weinte und irgendwie gelang es mir, Robert aus dem Kinderzimmer zu schmeißen und den Kleinen zu beruhigen.
Danach ging ich wieder nach draußen und hörte, wie Robert telefonierte. Ich ging zu ihm und sah ihn entgeistert an. Er hatte wohl seine Mutter angerufen und erzählte ihr gerade, dass ich ihm eine Szene gemacht hätte. Er sah mich an und sagte höhnisch ins Telefon, dass sie mich jetzt sehen müsse, wie überheblich ich vor ihm stehen würde. Und an mich gewandt betonte er wieder, dass ich ja die Polizei rufen könnte, wenn mir sein Verhalten missfallen würde. Es wäre ihm egal. Ich konnte meinen Ohren nicht trauen. Ich war so entsetzt, dass ich mich umdrehte und wieder in Richtung Kinderzimmer ging. Doch Robert ging mir nach, packte mich darauf und schleuderte mich gegen den Türstock unseres Badezimmers. Ich blieb geschockt liegen. Robert ging zum Kühlschrank, holte sich ein Bier und setzte sich vor den Fernseher. Ich war nur froh, dass der Kleine das nicht mitbekommen hatte, ging dann zu ihm ins Zimmer und schlief ein.
Auch nach dieser Eskalation blieb Roberts Verhaltensmuster gleich. Er weinte am nächsten Tag, brach zusammen und entschuldigte sich. Wir müssten einen Ausweg finden. Ich war damals so geblendet, dass ich wirklich daran glaubte, auch Schuld an diesem Wahnsinn gehabt zu haben. Ich beruhigte Robert und versprach ihm, alles besser und für ihn leichter machen zu wollen. Ich war davon überzeugt, dass Robert wegen seiner Arbeit so unzufrieden und belastet wäre, dass er deshalb so viel trank und dass es noch irgendetwas geben musste, das ich noch nicht versucht hatte und dass ich es doch schaffen müsste, Robert vollends glücklich und zufrieden zu machen.
Kurze Zeit später kam Roberts Mutter zu Besuch und hatte vor, ein paar Tage bei uns zu bleiben. Sie war es gewohnt, über Vergangenes nicht zu sprechen, somit auch nicht über diesen Vorfall wenige Wochen zuvor, welchen sie teilweise über das Telefon mitbekommen hatte. Mich versetzte ihre Anwesenheit noch mehr unter Stress, vor allem wollte ich auch vor meiner Schwiegermutter, vor allem für Robert, nicht versagen. Doch genau an diesem Abend wollte sich mein Sohn weder beruhigen noch wickeln lassen. Er lag strampelnd und schreiend auf dem Wickeltisch und ich versucht ihn zu beruhigen, aber nichts schien zu helfen. Ich wusste nicht mehr weiter und da merkte ich plötzlich, wie Robert kopfschüttelnd in der Tür stand. Er beobachtete mich und ich wurde immer hektischer. Er seufzte laut und meinte, dass es so peinlich für ihn wäre, wenn ich mich so aufführen würde. Was solle sich denn seine Mutter denken. Er stieß mich regelrecht vom Wickeltisch, tat ein paar schnelle, feste Handgriffe und hatte unseren Sohn fertig gewickelt. Auch beruhigte er sich langsam. Ich sah zu Boden und war so enttäuscht von mir selbst, dass ich zu weinen begann, meine Jacke packte und aus der Wohnung lief. Ich musste mich beruhigen. Ich ging ein paar Runden spazieren und als ich mich wieder gefangen hatte, ging ich zurück in die Wohnung. Meine Schwiegermutter hatte unseren Sohn ins Bett gebracht und weder Robert noch sie sprachen ein Wort mit mir. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich meinen Sohn alleine gelassen hatte und einfach davongelaufen war. Ich war enttäuscht von meiner Schwäche.
Am nächsten Morgen war ich in der Küche als Robert kam und, zu meiner Verwunderung, die gepackten Koffer seiner Mutter brachte. Er sagte kühl, dass er sie zum Bahnhof bringen würde und bevor ich noch etwas sagen konnte, verschwanden beide, ohne ein weiteres Wort zu sagen, aus der Wohnung. Kurze Zeit später bekam ich eine Nachricht von Robert, in der er mir schrieb, dass seine Mutter Angst vor mir hätte und sich in meiner Gegenwart nicht mehr wohlfühlen würde. Er wäre extrem enttäuscht von mir und schrieb weiter, dass ich „stationär eingewiesen“ werden müsste. So ginge es „definitiv nicht mehr weiter.“
Bis heute weiß ich nicht, ob seine Mutter das wirklich gesagt und gefühlt hatte oder ob es nicht wieder eine von Roberts Manipulationsversuchen war. Damals glaubte ich ihm seine Worte und auch, dass ich wohl psychisch instabil sei und Hilfe bräuchte. So beschloss ich nun selbst eine Therapie zu machen. Das schien mir der letzte Ausweg zu sein. Ich ging zu Robert und teilte ihm meinen Entschluss mit. Er nahm mich in den Arm und meinte nur, dass ich endlich Vernunft annehmen würde. Ich solle dem Therapeuten sagen, dass ich nur mehr verwirrt und latent aggressiv wäre. Er würde allerdings einen Psychiater empfehlen, weil eine medikamentöse Behandlung sicher hilfreicher wäre als „nur zu reden“.
Also ging ich zunächst zu einer Psychiaterin, die sehr einfühlsam auf meine Probleme einging und meinte, sie würde mir mal etwas „Leichtes“ verschreiben, aber ich solle zwingend eine Psychotherapie machen. Sie gab mir ein paar Adressen und schon bald hatte ich einen Termin mit einer Therapeutin vereinbart. Bevor ich diese Therapie allerdings begann, merkte ich, dass sich in mir irgendetwas „verkeilte“. Ich wusste nicht, was es war, aber irgendetwas ließ mich nun auch nicht mehr gut schlafen. So stand ich eines Nachts auf und setzte mich im Wohnzimmer auf die Couch. Es war so unfassbar ruhig und ich genoss diese Stille. Es drängten sich auf einmal Gedanken in mir auf. Ich dachte an meine Ehe, an Robert, an meinen Sohn und ich fragte mich, ob ich überhaupt alleine leben könnte. Ich dachte an eine Trennung und was mit dieser alles einhergehen würde… Ich sah auf meinen Ehering und rollte ihn auf meinem Finger hin und her. Dann legte ich ihn auf den Couchtisch. Es fühlte sich verboten an. Meine Gedanken fühlten sich verboten an. Ich sah meinen Ehering eine Zeit lang an, doch dann hielt es nicht mehr aus. Ich steckte ihn mir wieder an und verbannte alle Trennungsgedanken aus meinem Kopf.
Ich hatte das Gefühl, auf einem Irrweg zu sein. Ich wollte ja mit Robert zusammen sein. Ich hatte ihn geheiratet. Ich habe ein Kind mit ihm. Daran wird sich nie wieder etwas ändern. Ich muss es einfach akzeptieren.
Wenige Tage später begann ich die Therapie und diese half mir, trotz der umfassenden Dunkelheit, bestimmte Dinge zu erkennen. Sie legte den Grundstein für meine spätere Trennung. Die Therapie gab mir Hoffnung, nämlich dass ich mich selbst nicht aufgeben dürfe und an mein Kind und an mich viel mehr denken müsse.
In den Therapiesitzungen konnte ich sehr viele Situationen meiner Beziehung und Ehe besprechen, in denen ich zurückgesteckt hatte, in denen ich Robert gewähren und ihm seinen Willen ließ und in denen ich einfach keine Kraft mehr hatte, mich zu wehren. Wir machten eine „Was-wäre-wenn“-Aufgabe daraus, und ich musste versuchen, diese Situationen so zu schildern, als ob ich in diesen anders reagiert hätte. Was wäre gewesen, wenn ich hier „Nein“ gesagt hätte? Was wäre gewesen, wenn ich nicht nachgegeben hätte? Was wäre gewesen, wenn ich einfach mal auf meinem Standpunkt beharrt hätte? Was wäre gewesen, wenn ich Robert einfach mal gesagt hätte, dass mich sein Verhalten stört und ich das so nicht mehr hinnehmen würde?
Für mich war das extrem harte Arbeit, weil ich es so falsch fand, nicht nur ausschließlich mir die Schuld für Roberts Verhalten zu geben. Aber mit der Zeit und der Vereinbarung mit der Therapeutin, es bei den nächsten (sich anbahnenden) Konflikten zumindest zu versuchen, standhaft zu bleiben, verstand ich, dass es wohl keine andere Möglichkeit gab, um mein Leben wieder lebens- und liebenswert zu machen.
Die Therapeutin wies mich allerdings auch daraufhin, und damals verstand ich ihre Sätze nicht so gut, wie ich es heute tue, nämlich dass „er“ mit meinem neuen Verhalten sicher nicht einverstanden sein würde und dass es unter Umständen zu mehr und heftigeren Konflikten kommen könnte. Ich sollte mich darauf vorbereiten, nur wusste ich damals leider nicht genau, was sie meinte.